Wie hoch ist eigentlich mein „Net Worth“?

In den USA ist es durchaus nicht ungewöhnlich, jemanden nach seinem Net Worth zu fragen, oder sich für den Net Worth von Prominenten zu interessieren. Gemeint ist damit das Vermögen nach Abzug von Schulden, d.h. wie reich jemand in Dollar gerechnet genau ist.

In Deutschland ist so eine schnöde Reduzierung eines Menschen auf einen Eurobetrag natürlich viel zu profan, abgesehen davon dass man hier eh nicht so gerne über Geld spricht. Nichtsdestotrotz wissen die meisten Aktiven in der Finanzblogcommunity vermutlich sehr genau, wie hoch ihr derzeitiger Net Worth ist, Google Docs oder anderen Finanztools sei Dank. Minutiös werden da das Depot, die Dividendeneinnahmen und die Sparkonten dokumentiert und verwaltet, zwischen Vermögenswert und Verbindlichkeit sauber getrennt, um am Ende eine (hoffentlich) große Zahl stehen zu haben die das eigenen Vermögen beschreibt. Und meistens gibt es auch eine klare persönliche Zielvorgabe, bis zu welchem Zeitpunkt man welche Summe erreicht haben will, um dann idealerweise in die Frührente zu gehen.

Da mein eigenes Depot diesen Monat eine psychologisch wichtige Schwelle genommen hat, fiel mir auf, dass bei einer solchen Betrachtung des Net Worth ein kleiner Denkfehler besteht, und real das ganze leider etwas weniger prächtig aussieht. Denn mein Depot gehört leider nicht vollständig mir, sondern zu einem nicht unwesentlichen Teil dem Finanzamt.

Schäuble investiert mit

Mal ein Rechenbeispiel: Ich habe ein angenommenes Depotvermögen von einer Million Euro (yeahh, Millionär!!), und etwa die Hälfte davon durch den Wertzuwachs meiner Aktien in den letzten fetten Börsenjahren erzielt (yeahh, call me Warren!!!). Das ist gar nicht mal so unrealistisch, bei einer Aktiendurchschnittsrendite von sieben Prozent, die immer wieder genannt wird, hat man das eingesetzte Kapital nach knapp zehn Jahren verdoppelt. Und die letzten Jahre liefen noch deutlich besser als der Durchschnitt.

Von diesem Wertzuwachs aber will das Finanzamt seinen Anteil haben, zwar nicht sofort, aber spätestens dann wenn ich die Aktien mal zu Geld machen will: 25% Kapitalertragssteuer plus Soli plus ggf. Kirchensteuer werden fällig. Ausgenommen sind nur Aktien, die ich vor dem Jahr 2009, also vor Einführung der Kapitalertragssteuer, gekauft habe. Hier sind die erzielten Wertzuwächse steuerfrei.

Von meiner Million an Aktienwerten müsste ich beim Verkauf also mindestens 131.500 EUR Steuern zahlen (26,4% auf den Wertzuwachs von 500.000 EUR). Und erhielte am Ende nur 868.500 EUR raus. Und wäre damit noch ein ganze Stück vom Millionärsclub entfernt und sollte den Auftrag für die Yacht vielleicht doch nochmal überdenken.

Knietief im Dispo

Für routinierte Anleger ist das natürlich keine revolutionäre Erkenntnis: Auf erzielte Aktiengewinne sind Kapitalertragssteuern zu zahlen, what else is new. Und dennoch: Ich vermute, dass die wenigsten diesen Effekt beim Betrachten ihres Depotauszuges auf dem Schirm haben. Das ist vergleichbar mit der Falle, in die viele Freiberufler zu Beginn ihrer Selbständigkeit reinlaufen: Man verdient gut, das Konto quillt über, man leistet sich einen schicken Neuwagen. Nur um dann am Ende des Jahres festzustellen, dass ja auf das verdiente Geld noch Steuern nachzuzahlen sind. Die werden im ersten Jahr nämlich noch nicht automatisch monatlich fällig, sondern mit der ersten Steuererklärung. Und auf einmal ist man knietief im Dispo, weil das Finanzamt nicht gerade geduldig ist bei der Steuerstundung.

Never say never

Für die Tim Schäfers dieser Welt und andere Buy-and-Hold Investoren sieht die Rechnung natürlich etwas anders aus: Wenn man seine Aktien nie verkauft, zahlt man auch keine Steuern auf den Wertzuwachs. Zumindest nicht bis zur nächsten Bundestagswahl – ab da darf man sich dann vermutlich mit der Wiedereinführung der Vermögenssteuer herumschlagen.

9 Gedanken zu „Wie hoch ist eigentlich mein „Net Worth“?“

    • Ja, es gibt natürlich einige Möglichkeiten, beim Verkauf Freibeträge etc. zu nutzen, um der Besteuerung zumindest teilweise zu entgehen. Aber je mehr Buchgewinne man gemacht hat, desto schwieriger wirds. Was wiederum ein Luxusproblem ist: Lieber Steuern zahlen auf Gewinne, als gar keine Gewinne machen.

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  1. „Auf erzielte Aktiengewinne sind Kapitalertragssteuern zu zahlen.“

    So selbstverständlich ist das ja gar nicht, wenn man sich als Anleger noch an die Zeit erinnert, als Kursgewinne nach 1 Jahr Haltefrist steuerfrei waren…

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  2. Sehr gute Überlegung. Dazu zwei Ergänzungen:

    1. Wer freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist, hat bis zum Erreichen der Verdienstgrenze (2017 sind es 52.200 € p.a.) wegen seines Anlageerfolgs neben der Steuer auch höhere Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu entrichten. Denn zum beitragspflichtigen Einkommen zählen bei freiwilliger Versicherung auch Einnahmen aus Kapitalvermögen sowie Vermietung und Verpachtung. Betroffen sind hier insbesondere Rentner, die die sog. 9/10 Regelung für die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) nicht erfüllen und nicht privat krankenversichert sind.

    2. Der Buy-and-hold-Anleger, der seine Aktien nie verkauft, für den wird vermutlich im Zeitpunkt des Todes die Kapitalertragsteuer auf Kursgewinne fällig (und dann ggf. noch Erbschaftsteuer bei den Erwerbern).

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  3. Ich finde das auch einen sehr guten Artikel, hatte mich so jahrelang auch schön gerechnet 🙂 Mittlerweile habe ich das in meine Excel Depotübersicht eingepflegt und schaue nur noch auf die Zahl nach Steuer. Und wenn ich mal Langeweile habe und die Depotentwicklung mit dem DAX vergleiche, dann bekommt Mr. Dax auch die 26.375% abgezogen und ich seh dann nicht mehr ganz so schlecht aus.

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  4. Hallo Teilzeitinvestor,

    du hattest auf meinem Blog diesen Artikel als Ergänzung empfohlen und tatsächlich war dieser Beitrag für mich eine Bereicherung!

    Wenn man in die Lage kommt, dass man zu einem gewissen Zeitpunkt seine Aktien liquidieren muss, dann muss man eventuell nicht nur zu einem ungünstigen Zeitpunkt verkaufen, sondern auch noch Steuern bezahlen.

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